Strategien der islamistischen Ideologieverbreitung

Die Muslimbruderschaft lässt sich, wie diverse andere islamistische Organisation auch, dem „legalistischen Islamismus“ zurechnen, der die Möglichkeiten, Rechte und Freiräume offener und liberaler Staaten ausnutzt, um diese Prinzipien schrittweise abzuschaffen und sie durch eine Scharia-Gesetzgebung zu ersetzen.

Bei den Bemühungen, ihre Vorstellung vom Islam als die einzig geltende durchzusetzen, richten sich die Aktivitäten der Muslimbruderschaft vor allem an muslimisch Gläubige in verschiedenen europäischen Ländern. Hier finden sie Anknüpfungspunkte zur Verbreitung ihrer Ideologie. Als akzeptierte Vertreter:innen des „wahren Islam“ knüpfen sie zudem Kontakte in die Politik um finanzielle Unterstützung, Anerkennung als Verbände und ideologischen Einfluss zu erhalten. Burkhard Freier, Leiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen beschreibt das Vorgehen der Bruderschaft:

„Die Strategie der Muslimbrüder ist langfristig ausgerichtet und geschickt verschleiert. Sie schleusen einen politischen Islam besonders in den muslimischen Teil der Gesellschaft ein, den die Gesellschaft und die Muslime häufig selbst nicht richtig erkennen. Die Gefahr besteht, dass die Weltanschauung der Muslimbrüder, die Religion und Staat als Einheit begreifen, unter Muslimen zum Mainstream wird. Wenn die Muslimbruderschaft bei unveränderter Ideologie ihr Wachstum fortsetzen würde, dann würde das langfristig eine Spaltung der Gesellschaft bedeuten, nämlich, dass ein Teil der hier lebenden Muslime eine völlig andere Vorstellung von der Demokratie hat. Das würde zu Abgrenzung und Misstrauen führen... Blickt man... auf die Ideologie der Muslimbrüder, wird deutlich, dass sie keine Demokratie in unserem Sinne errichten wollen, sondern einen Staat, in dem die Gesetze der Scharia gelten.“ (Interview Freier 2019)

Hierzu soll muslimisch Gläubigen vermittelt werden, dass sie aufgrund ihrer „muslimischen Identität“ nicht der jeweiligen Gesetzgebung und Verfassung verpflichtet sind, sondern der Scharia als dem eigentlichen Recht zu folgen haben, was mit den Rechtsprinzipien in demokratischen Ländern unvereinbar ist. (s. Carlboom 2021, S. 230)

Wie in anderen Religionen auch gibt es innerhalb des Islam einen Kampf um die Deutungshoheit, darum, was den „wahren Glauben“ ausmacht, wobei sich jeweils konservative, orthodoxe und liberale, säkulare Auffassungen gegenüberstehen. Die Muslimbruderschaft und andere konservative Organisationen orientieren sich an einem orthodoxen Religionsverständnis mit fragloser Akzeptanz und Unterwerfung unter religiöse Vorschriften und wollen diese gesamtgesellschaftlich umsetzen.

Bei der Deutschen Islamkonferenz ist es diesen Verbänden gelungen, liberale und säkulare Vertreter:innen an den Rand zu drängen und damit kritische islamische Stimmen nicht zur Geltung kommen zu lassen. Der Islamismuskritiker Hamad Abdel-Samad sagte seine Mitwirkung an der Deutschen Islamkonferenz 2021 ab, weil sie dazu beiträgt, einen orthodoxen Islam auf Kosten säkularer Positionen durchzusetzen: „Der Staat biedert sich an die Vertreter des politischen Islam in dieser Konferenz an und ignoriert alle Warnungen und Vorschläge der kritischen Stimmen. (…) Und ich halte die Unterstützung dieser Vereine nicht nur für eine Veruntreuung von Staatsgeldern, sondern auch für eine Gefahr für die Innere Sicherheit.“ (Offener Brief H. Abdel-Samad)

In Freiburg bildet Dr. Abdel-Hakim Ourghi Lehrer:innen für den islamischen Religionsunterricht aus und leitet den dortigen Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik. Ourghi vertritt eine liberale Religionsauffassung, was eine „Stiftung Sunnitischer Schulrat“, dominiert von orthodoxen Islamverbänden, zu verhindern sucht. Katharina Eggers vom Kompetenzzentrum Islamismus der Aktion 3. Welt Saar schildert die Folgen einer möglichen Absetzung von Ourghi: „Damit wird ein Religionsunterricht, der zu Demokratie, Selbstbestimmung und kritischer Reflexion befähigt und sich an der Universalität der Menschenrechte orientiert, faktisch unmöglich gemacht. Statt den Weg zu bereiten für einen reformierten, liberalen Islam und den Einfluss ultraorthodoxer Islamverbände zurückzudrängen, werden diese weiter gestärkt.“ (PM der Aktion 3. Welt Saar)

Die Vorkommnisse in der Islamkonferenz und die Absicht, Dr. Ourghi als Dozenten abzusetzen, sind dabei nur zwei Beispiele für das Bemühen konservativer islamischer Organisationen, sich als einzig legitime Gruppen innerhalb des Islam zu präsentieren und die Deutungshoheit zu beanspruchen.

Zu ihrer Strategie gehört es auch, jegliche Kritik am Islam als „antimuslimischen Rassismus“ oder auch „Islamophobie“ zu diskreditieren. Hierunter fällt auch berechtigte Kritik an den Zuständen in islamischen Ländern sowie innerhalb islamistischer Milieus und Verbände. Beide Begriffe – „Islamophobie“ und „antimuslimischer Rassismus“ – sind inzwischen auch in der offiziellen Politik etabliert:

  • Die EU hat den „Europäischen Islamophobie-Report“ finanziell gefördert, der ausgerechnet von der SETA-Stiftung herausgegeben wird, die Erdogans AKP nahesteht. In diesem Bericht werden u.a. muslimische Kritiker:innen des politischen und konservativen Islam wie Seyran Ateş und Saida Keller-Messahli als islamophob bezeichnet.

  • Die Berliner Senatsverwaltung hat eine Plakatkampagne gegen „antimuslimischen Rassismus“ gestartet. An der Entwicklung der Kampagne waren 47 Organisationen beteiligt, die zum Teil eine islamistische Agenda verfolgen und dem Umfeld der Muslimbrüder zuzurechnen sind.

Es ist selbstverständlich richtig, gegen Diskriminierungen aufgrund der Religionszugehörigkeit vorzugehen und dafür zu sensibilisieren. Allerdings dient der Begriff „antimuslimischer Rassismus“ auch dazu, jegliche Kritik an menschenfeindlichen islamischen Praktiken als rassistisch zu diffamieren. Zudem ist der Glaube an eine bestimmte Religion keine Frage der „Rasse“, und es ist in einer Gesellschaft mit Religionsfreiheit erlaubt, religiöse Vorstellungen und Praktiken zu kritisieren oder auch zu karikieren.

„Islamophobie“ und „antimuslimischer Rassismus“ erweisen sich als Kampfbegriffe, die berechtigte Religionskritik entweder als psychische Krankheit oder als rassistische Haltung darstellen, wodurch islamistische Positionen gegenüber Kritik immunisiert werden. Der Begriff des „antimuslimischen Rassismus“ bietet dabei den Vorteil, sich als Opfer inszenieren und an einen emanzipatorischen Sprachgebrauch anzuknüpfen zu können, ohne die problematischen und emanzipationsfeindlichen Inhalte eines konservativen Islam überhaupt erwähnen zu müssen.

Spaltung und Parallelstrukturen

Die Vorstellungen eines religiös total bestimmten Lebens sind in den verschiedenen Ausbildungseinrichtungen der Muslimbruderschaft Realität: In islamischen Zentren mit einer Moschee, einer Koranschule, Gebetsräumen und Vortragssälen wird diese umfassende Lebensführung umgesetzt. Es geht um das Praktizieren eines Islam, wie er in verschiedenen Ländern Gesetz ist, in denen eine Sittenpolizei die Einhaltung religiöser Vorschriften überwacht und Verstöße auch mit körperlichen Strafen ahndet. In verschiedenen Milieus ist dies bereits gelungen. Chesnot und Malbrunot zitieren ein ehemaliges Mitglied: „Ich würde sogar sagen, dass es darum geht, innerhalb der Gesellschaft eine Parallelgesellschaft aufzubauen, die den Stempel „muslimisch“ und „halal“ trägt. Ziel ist es, die Religion auf Ebene des Individuums, der Familie, der Gesellschaft, des Staates und schließlich, als ultimatives Ziel, auf weltweiter Ebene zu integrieren.“ (Chesnot, Malbrunot 2020, S. 36)

Eine Studie an Berliner Grund- und Sekundarschulen hat den zunehmenden islamistischen Einfluss unter Schüler:innen erforscht: „Ein islamisch begründeter Verhaltenskodex werde mit repressiven Mitteln durchgesetzt und sogar die Schulanfängerinnen stünden unter Druck, sich „islamisch“ zu bekleiden. Selbst ernannte Moralwächter würden die Trennung von Mädchen und Jungen im Klassenzimmer fordern, und es sei zu verschiedenen Vorkommnissen in Zusammenhang mit religiös begründeter Homosexuellen-, Juden-, Christen-, Aleviten- und Frauenfeindlichkeit gekommen. Insgesamt vermerkten die Autoren der Studie Ansätze einer islamischen Leitkultur, die sich feindlich gegen die Gesellschaft und diejenigen Muslime richtete, die nicht den islamistischen Normen entsprachen.“ (Schröter 2019, S. 249)

Zu einem vergleichbare Ergebnis kommt die Befragung des Neuköllner Vereins für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung (DeVi) an Schulen und sozialen Einrichtungen: Auch diese Studie kommt zu dem Ergebnis einer herrschenden islamistischen Leitkultur bei den Schüler:innen: Mobbing von Kindern, die im Ramadan nicht fasten, die Kontrolle von Jungen, ob die Mädchen sich auch „islamisch“ kleiden und verhalten, die Weigerung, im Rahmen des Unterrichts eine Kirche oder Synagoge zu betreten sowie die Nicht-Teilnahme am Sexualkundeunterricht sind hierfür deutliche Anzeichen. (s. Wettig 2022)

Ob diese Kinder und Jugendlichen Kontakt zu Organisationen haben, die der Muslimbruderschaft nahe stehen oder zugehören, ist nicht zu belegen; allerdings entsprechen ihre Überzeugungen und Verhaltensweisen deren Ideologie und es ist wahrscheinlich, dass sie aus islamistischen Milieus stammen: Trennung der Geschlechter, Feindschaft gegenüber Menschen anderer Religionen und Homosexuellen, Antisemitismus, zudem die Überzeugung, berechtigt oder sogar verpflichtet zu sein, ihre strengen religiösen Gebote im sozialen Umfeld umzusetzen, weisen auf ein extrem konservatives Religionsverständnis hin.

Es ist äußerst bedenklich, wenn diese Zustände in Schulen von Personen verharmlost werden, die sich ansonsten zu Vielfalt, Demokratie und Antirassismus bekennen. So kommentierte Ahmed Abed von der Linkspartei die Studienergebnisse als „antimuslimisch“ und „sehr gefährlich“. Susanne Kahlfeld von den Grünen behauptete, das Ziel der Studie bestehe darin, Religion an sich als Problem darzustellen (s. Wettig 2022).

Der Vorwurf, die Studie sei „antimuslimisch“ ist schon deshalb nicht zutreffend, weil die Schüler:innen sich mit ihrem Verhalten vor allem gegen andere muslimische Kinder und Lehrer:innen wenden, deren Religionsauffassung ihnen offensichtlich zu liberal ist. Wie die Muslimbruderschaft sehen sie hier Ansatzpunkte, um den extremen Islam als den Wahren darzustellen und ihre Vorstellungen als für alle Muslim:innen verbindlich durchzusetzen.

Bei der Problematisierung islamistischer Ideologien geht es nicht um eine Kritik am Islam als solchem, es geht um eine notwendige Auseinandersetzung mit einer reaktionären Ideologie, die sich gegen grundlegende Menschenrechte wendet und der nicht die religiöse Deutungshoheit überlassen werden sollte; stattdessen ist es in einer demokratischen Gesellschaft sinnvoll, Positionen und Verbände innerhalb des Islam zu stärken, die mit den Allgemeinen Menschenrechten vereinbar sind.

Organisationen und Personen die für sich reklamieren, für Vielfalt, Toleranz, Pluralität und Selbstbestimmung einzustehen, müssen intolerante, hierarchische und patriarchale Strukturen und Ideologien grundsätzlich problematisieren und kritisieren, nicht zuletzt, wenn diese das Ziel verfolgen, Vielfalt letztendlich abzuschaffen. Diese Kritik sollte auf Grundlage der Menschenrechte erfolgen. Im Gegensatz dazu beziehen sich rechte Gruppierungen wie die AfD in ihrer „Islamkritik“ auf Begriffe wie „christliches Abendland“ oder einen angeblich „kulturfremden“ Islam, der als nicht zugehörig behauptet wird. Geflüchtete werden als „Scheinasylanten“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge“ diffamiert und pauschal als islamistisch bezeichnet. Dabei sind gerade die repressiven Verhältnisse in verschiedenen islamischen Ländern ein Fluchtgrund für viele Menschen, wie beispielsweise Frauen, Homosexuelle oder Atheist:innen, deren Rechte brutal unterdrückt werden.

Literatur

Abdel-Samad, H. (2021): Offener Brief an Herrn Innenminister Seehofer, in: veröffentlicht auf Facebook am 11.11.2020

Chesnot, C., Malbrunot, G. (2020): Qatar Papers. So beeinflusst der Golfstaat den Islam in Europa, Wien

Pressemitteilung der Aktion 3.Welt Saar e.V. vom 15.6.2021: Droht liberalen islamischen Religionspädagogen der Entzug der Lehrerlaubnis?

Carlbom, A.(2021) : Legalistischer Islamismus. Eine ideologische Herausforderung in Schweden, in: Kostner, S., Manea, E. (Hg.): Lehren aus 9/11 Zum Umgang des Westens mit Islamismus, Stuttgart, S. 219 – 238

„Die Gefahr der sozialen Spaltung“, Interview mit Burkhard Freier, Leiter des NRW-Verfassungsschutzes, FAZ vom 11.11.2019

Europäischer Islamophobiebericht: https://www.islamiq.de/2022/01/05/european-islamophobia-report-2020-veroeffentlicht/ Internet vom 3.4.2022

Offener Brief zum Islamophobiereport: https://www.diepresse.com/5736354/offener-brief-an-von-der-leyen-unterstuetzen-sie-den-islamophobia-report-nicht

Schröter, S.(2019): Politischer Islam. Stresstest für Deutschland, Gütersloh

Wettig, H. (2022): Das Kopftuch stört den Schulfrieden. Jungle Word Internet, 6.1.2022

 

 

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