Die Kampagne ist professionell aufgezogen, auf der Homepage wird zum Mitmachen aufgefordert, als Erfolg wird davon berichtet, dass der World Hijab Day mittlerweile in 140 Ländern begangen wird, der Staat New York den Tag offiziell anerkannt hat und verschiedene Prominente ihn unterstützen.
Das Datum ist dabei äußerst symbolträchtig: Am 1. Februar 1979 kehrte Khomeini aus dem Exil in Paris in den Iran zurück. Mit großer Geschwindigkeit arbeitete er daran, aus dem Land eine islamistische Diktatur zu formen, wobei der Kampf um die „züchtige“ Bekleidung von Frauen eine entscheidende Rolle spielte und brutal umgesetzt wurde: „Frauen wurden aus Richterämtern und aus dem Militär vertrieben und angehalten, in der Öffentlichkeit ‚islamische Kleidung‘ zu tragen. Körper und Haare mussten mit dicken dunklen Stoffen bedeckt sein, von denen der tschador, ein zeltartiges schwarzes Gewand, die oberste Schicht bildete. Bewaffnete schiitische Milizen patrouillierten durch Straßen und öffentliche Gebäude, um Frauen zu ermahnen, die ‚schlecht‘ verschleiert waren. Diejenigen, die sich nicht verhüllten, wurden körperlich attackiert, einige sogar niedergestochen. Geschäfte waren angehalten, ihnen nichts mehr zu verkaufen, Unternehmen entließen sie. Im Mai 1979 wurde die Koedukation in der Schule abgeschafft und ab Juni durften verheiratete Frauen nicht mehr die Oberschule besuchen." (Schröter, S. 47)
Frauen haben im Iran eine untergeordnete Stellung, sie dürfen in der Öffentlichkeit nicht singen oder tanzen, sie sollen nicht laut lachen oder sich schminken. Symbol für die Unterwürfigkeit ist der Schleier, den sie in der Öffentlichkeit tagen müssen; die Einhaltung des Verschleierungszwangs wird von einer Sittenpolizei kontrolliert, Zuwiderhandlungen werden drastisch bestraft.
Der Kampf gegen die Zwangsverschleierung im Iran hat eine lange Geschichte; er wurde und wird, wie andere Proteste auch, vom islamistischen Regime brutal unterdrückt. Weltweit bekannt wurden die Proteste gegen die Zwangsverschleierung im Jahre 2022 unter dem Motto „Frau. Leben. Freiheit.“.
Unmittelbarer Anlass war der Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Masha Amini in Polizeihaft. Sie wurde von der berüchtigten Sittenpolizei verhaftet, weil sie angeblich gegen die strengen Kleidervorschriften für Frauen verstoßen hatte. Als Reaktion darauf gab es landesweite Proteste, vor allem von jungen Frauen, die sich die religiöse Bevormundung nicht länger gefallen lassen wollten und das vorgeschriebene Kopftuch ablegten. Das Regime reagierte äußerst repressiv, warf den Protestierenden „Kampf gegen Gott“ vor und ließ die Proteste brutal niederschlagen: Es gab Hunderte von Toten, durch Einsatzkräfte, Massenverhaftungen, vollstreckte Todesstrafen und Folter.
Im Iran herrscht der schiitische Islam im Gegensatz zu anderen Ländern, die sunnitisch regiert werden. Allerdings ist der Grad der Repression in allen islamistisch regierten Ländern durchaus vergleichbar: Es gibt dort keine Gleichberechtigung der Geschlechter, keine Meinungs- oder Religionsfreiheit, Homosexualität ist strengstens verboten, Frauen dürfen nicht alleine reisen oder Verträge abschließen; in 13 streng islamisch regierten Ländern kann bei Blasphemie oder Apostasie die Todesstrafe verhängt werden. In diesen Ländern gibt es keinerlei individuelle Freiheiten, das alltägliche Leben wird von islamischen Regeln in der jeweiligen Interpretation dominiert. Deren Einhaltung wird staatlicherseits kontrolliert, Verstöße dagegen auch mit körperlichen Strafen wie Auspeitschungen Steinigungen und Amputationen bestraft.
In verschiedenen Ländern kämpfen radikal-islamische Gruppierungen mit Gewalt darum, islamistische Gesellschaften zu etablieren. Das Tragen eines Kopftuchs spielt dabei immer eine – wenn nicht die – zentrale Rolle, wie es Wassyla Tamzali an einem Beispiel aus Algerien im Jahre 1992 schildert: Eine islamistische Gruppierung hatte im ganzen Land Flugblätter verteilt mit der Forderung, dass alle Mädchen und Frauen ab sofort das Kopftuch zu tragen haben. Die 17-jährige Katia Bengana verweigerte dies und wurde daraufhin ermordet: „Katia war mit offenem Haar und erhobenem Haupt auf die Straße gegangen – eine Botschaft der Würde, der Freiheit und der Weiblichkeit. (…) Dass sie auf dem Nachhauseweg so unverhüllt und selbstbewusst auftrat, war ein Affront für die Wächter der neuen religiösen Ordnung (…) Als sie mit einer Freundin die Straße entlangging, verstellte ihr Nachbar, ein junger Islamist, ihr den Weg. Getrieben von seinem Frauenhass und seiner angeblichen Hingabe zu Gott entleerte er das gesamte Magazin seines abgesägten Gewehres in die junge Frau. Katia sollte ein Zeichen sein, die letzte Warnung, die an die anderen algerischen Mädchen und Frauen gerichtet war. Wer von der islamistischen Ordnung abweicht, den erwartet der Tod.“ (Tamzali 2020, S. 136)
Wie in Algerien gibt es auch in anderen Ländern Nordafrikas islamistische Gruppen, die mit Gewalt ihre frauen- und demokratiefeindliche Ideologie durchsetzen wollen; zudem auch in anderen Regionen der Welt wie Indonesien oder auch Bangladesch, dem Herkunftsland von Nazma Kahn:
„2013 wurde Asif Mohiuddin auf dem Weg zur Arbeit von religiösen Fundamentalisten mit einer Machete attackiert und kurz darauf gemeinsam mit anderen Bloggern inhaftiert: der Vorwurf war, dass sie religiöse Gefühle verletzt hätten. Im gleichen Jahr wurde von islamischen Extremisten eine Todesliste von 84 Bloggern veröffentlicht. Kurz darauf wurde der Blogger Ahmed Rajib Haider von einer Gruppe mit Macheten bewaffneter Attentäter getötet, als er sein Haus in Dhakar verließ. (…) Kurz darauf wurden auch Verlagshäuser angegriffen und der Verleger Faisal Arefin Dipan wurde getötet; sein Kollege Ahedur Rachid Tutu wurde verletzt. 2016 setzten sich die Attacken fort: Nazimuddin Samad wurde getötet, ebenso Xulhaz Mannan, Redakteur des ersten LGBT-Magazins in Bangladesch. Solche und ähnliche Angriffe wurden bis ins Jahr 2018 fortgeführt, und leider ist kein Ende abzusehen.“ (Ponitka. R. 2019, S.8)
Der politische Islam geht immer einher mit einer Unterdrückung von Frauen, mit der (gewaltsamen) Durchsetzung der männlichen Vorherrschaft in einem hierarchischen Geschlechterverhältnis. Symbol hierfür ist die Verschleierung von Frauen, die die Unterordnung im Geschlechterverhältnis nach außen hin deutlich machen soll.
In einer Broschüre der ultrakonservativen islamisch-türkischen Organisation DITIB wird dieser Zusammenhang explizit formuliert: „Die gläubige Frau, die Kopftuch trägt, erfüllt damit zunächst ein Gebot Allahs. Zugleich lässt sie damit erkennen, dass sie gläubig und bemüht ist, die religiösen Forderungen nach einem tugendhaften und moralisch einwandfreien Lebenswandel nachzukommen, auch gerade im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern.“ (Denffer, A.V. 2005, S.23) Im Zentrum des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern steht – selbstverständlich – die Vorherrschaft des Mannes.
Tugendhaft, rein, moralisch einwandfrei – es handelt sich um patriarchale Vorschriften, mit denen Frauen von einem selbstbestimmten Leben abgehalten werden sollen, es sind Begriffe der Anpassung, Unterwerfung und Entmündigung.
Wenn am „World Hijab Day“ Frauen dazu aufgefordert werden, „aus Solidarität“ ein Kopftuch anzulegen, so bedeutet dies nichts anderes, als islamistische Forderungen zu übernehmen: Der große Unterschied besteht allerdings darin, dass Frauen in Gesellschaften mit garantierter Religionsfreiheit prinzipiell darüber entscheiden können, was sie tragen, während die Kopftuchpflicht in streng islamischen Ländern angeordnet und die Einhaltung kontrolliert und mit Gewalt durchgesetzt wird.
An keiner Stelle der Aufrufe zur Unterstützung des „Hijab Days“ findet sich eine Problematisierung oder auch nur Thematisierung des Kopftuchs, ebenso wenig wie eine Kritik an Staaten, die eine Verhüllungspflicht gewaltsam durchsetzen. Es ist unwahrscheinlich, dass den Initiator:innen und Unterstützer:innen des Hijab-Days die Lage in islamisch regierten Ländern nicht bekannt ist; ebenso sollten sie über die historische Bedeutung des 1. Februar Bescheid wissen. Doch statt diese zu kritisieren und konsequent für Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung einzutreten und diese zu benennen, stellen sie sich lieber selber als Opfer dar.
Bezug genommen wird auf die Religionsfreiheit und Selbstbestimmung, ohne darauf einzugehen, dass weder das eine noch das andere in islamistisch regierten Ländern – wie in verschiedenen islamischen Milieus – existiert. Insofern ist die Forderung nach Religionsfreiheit und Selbstbestimmung unglaubwürdig, weil sie nicht universell formuliert wird.
Der Hijab Day unterstützt ein religiöses und sexistisches Symbol für die Unterwerfung von Frauen. Unterstützung und Solidarität sollten dagegen denjenigen Frauen gelten, die sich – oft unter Gefahr für ihr Leben – dem Kopftuchzwang und islamistischer Unterdrückung widersetzen.
Das hat nichts mit „antimuslimischem Rassismus“ oder „Islamophobie“ zu tun; diese Begriffe werden oft verwendet, auch wenn es sich um berechtigte und notwendige Kritik am politischen Islam handelt, die damit zum Schweigen gebracht werden soll, indem sie als „rechts“ bezeichnet wird. „Hijabis unsilenced“, also „Hijab tragende Mädchen und Frauen, die nicht zum Schweigen gebracht werden können“, das Motto des diesjährigen Hijab Days, denkt nicht an die zahlreichen Frauen und Mädchen, die von islamistischen Regierungen wie Organisationen zum Schweigen gebracht werden.
Es regt sich allerdings Widerstand gegen den World Hijab Day: so bezeichnete ihn Ensaf Haidar als „islamische Propagandakampagne“, was er zweifellos auch ist; Haidar ist die Ehefrau des saudischen Bloggers Raif Badawi, der wegen „Beleidigung des Islams“ zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt wurde.
Literatur:
Denffer, A.v. (2005): Kopftuch und Kleidung im Islam, München, 3. Auflage
Hijab Day: Homepage von 22.12.2024
Ponitka, R. (2019): Bedrohung als Dauerzustand – Säkulare Medienschaffende in Bangladesch, in: Materialien und Informationen zur Zeit, 1 / 2019, S. 8
Schröter, S (2019): Politischer Islam. Stresstest für Deutschland, München
Tamzali, W. (2020): Eine zornige Frau. Brief aus Algier an die in Europa lebenden Gleichgültigen, Aschaffenburg