Deutschland ist also nach wie vor von djihadistischen Anschlägen betroffen. Es gelingt bisher nicht, die Bedrohung zurückzudrängen, wie zuletzt auch der für einen Polizisten tödliche islamistische Messeranschlag am 31. Mai in Mannheim gezeigt hat. Im benachbarten Österreich konnte jüngst ein verheerender islamistischer Anschlag auf Besucher:innen von Taylor Swift-Konzerten im Wiener Ernst-Happel-Stadion in letzter Minute vereitelt werden.
Diese Gefahrenlage ruft die Verfechter der üblichen Patentrezepte auf den Plan, allen voran diejenigen, die die Morde für weitere Einschränkungen der Rechte und des Schutzes von Flüchtlingen zu instrumentalisieren versuchen. Dazu gehört zuvorderst die AfD mit ihren Geistesverwandten in der Mitte der Gesellschaft, der das Massaker weitere Wählerstimmen bei den in drei östlichen Bundesländern anstehenden Landtagswahlen bescheren könnte. Die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative marschierte bei einer Kundgebung in Solingen mit Parolen wie „Vielfalt tötet“ und „Deutschland durch Remigration retten“ auf.
Die CDU steht dem nicht nach, aus ihren Reihen kommen Forderungen, ausgerechnet den Schutz von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan einzuschränken, also aus Ländern, in denen Menschen ganz besonders brutal verfolgt werden. „Ein konsequentes Vorgehen gegen irreguläre Migration und Islamismus ist daher jetzt der notwendige Kampf zur Verteidigung unserer liberalen Demokratie“, erklärt NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Mit solcher Demagogie unterschlägt er, dass Flüchtlinge oftmals wegen der Unterdrückung und Verfolgung durch Islamisten und Sharia-Regime ihre Herkunftsländer verlassen haben, also deren Opfer sind. Großenteils sind sie gar keine strenggläubigen Muslime. Viele von ihnen sind säkular oder nichtmuslimisch. Zum Kampf gegen Islamismus gehört aber zwingend, dass man seinen Opfern beisteht und ihnen Asyl gewährt! „Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir unter anderem Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, (…) jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen“, hat SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert im ARD-Morgenmagazin am 26.8.24 richtig festgestellt. Demagogen wie Wüst fordern das Gegenteil. Ohnehin werden die weitaus meisten und die höchsten Opferzahlen fordernden djihadistischen Anschläge nicht im Westen, sondern in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie in islamisch geprägten Regionen Afrikas verübt, wobei, global betrachtet, die Opfer der Islamisten vor allem andere Muslime sind. Was in Solingen, in Mannheim oder auf dem Berliner Breitscheidplatz geschah, ist in diesen Regionen Alltag.
Was hilft wirklich gegen die islamistische Bedrohung?
Aber auch da, wo wir es wirklich mit Islamisten zu tun haben, sind Abschiebungen keine Alternative. Wenn jetzt gefragt wird, warum eine geplante Abschiebung des jetzt Verhafteten nach Bulgarien in der Vergangenheit nicht zustande kam, so geht dies an der Sache vorbei. Denn dann hätte er einen solchen Anschlag eben in Bulgarien begehen können. Das Problem wird so also nicht gelöst, sondern abgeschoben – aus den Augen, aus dem Sinn.
Gerade im Hinblick auf den IS und dessen Zerschlagung wird aber ein wesentlicher Aspekt meist übersehen. In Deutschland werden nämlich nach wie vor Organisationen kriminalisiert, die entscheidenden Anteil an der Zurückdrängung und weitgehenden Zerschlagung des IS im Irak und insbesondere in Nordsyrien hatten: Die Kurdische Arbeiterpartei PKK und ihre Gliederungen. Ohne sie wäre die Bedrohung auch im Westen um ein Vielfaches größer. Es ist daher mehr als überfällig, das in Deutschland immer noch bestehende Verbot der PKK aufzuheben. Kämpfer:innen der PKK haben im August 2014 Zehntausenden Jesiden im nordirakischen Sindschar-Gebirge das Leben gerettet, wohin sie vor dem genozidalen Terror des IS geflohen waren. In Nordsyrien war es die PYD (Partei der Demokratischen Union), die Schwesterpartei der PKK, welche zusammen mit ihren Verbündeten und mit Luftwaffenunterstützung der USA der Schreckensherrschaft der Islamisten ein Ende gesetzt und ihnen ihre wichtigste Operationsbasis genommen hat. Wenn Polizei und Strafverfolgungsbehörden aufhören, täglich die entschiedendsten und effektivsten Gegner des Islamischen Staates zu jagen, werden Kapazitäten frei für die Beobachtung und die Bekämpfung der Djihadisten. Heute wird Islamismus vor allem symbolisch vom Staat und dem Gros der NGOs bekämpft.
(Eine gekürzte Fassung dieses Aritkels erschien am 29.08.2024 in der Jungle World)